Luftaufnahme der Warendorfer Altstadt

Erster Bürgerrat in Warendorf


500 Einwohnerinnen und Einwohner waren per Zufallslos eingeladen, sich für die Mitwirkung am ersten Bürgerrat in der Stadt Warendorf zur (Um)benennung von Straßen anzumelden. 16 Plätze waren letztlich zu vergeben. Mit 38 direkten Anmeldungen und zahlreichen Interessenten, die aus unterschiedlichen Gründen nicht teilnehmen konnten, übertrafen die Reaktionen auf das Losverfahren die Erwartungen. Drei bis fünf Prozent – so hoch ist in Fachkreisen die erwartete Rückmeldung auf ein klassisches Losverfahren. In Warendorf lag die Quote mit 8% deutlich höher. Nimmt man die verhinderten Interessenten hinzu, erklärten sich über 10% der ausgelosten Personen bereit, am Bürgerrat mitzuwirken.

Nach einer zweiten, ebenfalls gewichteten Losrunde – berücksichtigt wurde ein möglichst repräsentativer Querschnitt der Stadtbevölkerung anhand der Kriterien Ortsteilzugehörigkeit, Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit – startete der Bürgerrat am Freitag, 11. Oktober mit einem Auftakttreffen der final ausgelosten Mitglieder im Sitzungssaal des Historischen Rathauses, bevor der Samstag ganz unter dem Motto „diskutieren, debattieren, entscheiden“ stand.

Zunächst galt es am Freitag jedoch, die zufällig ausgewählten Einwohnerinnen und Einwohner miteinander bekannt zu machen und ein Wir-Gefühl zu schaffen. Beim Speed-Dating standen neben Persönlichem vor allem Fragen rund um den eigenen Wohnort im Vordergrund: warum heißt die eigene Straße, wie sie heißt und wer hat sich überhaupt schon einmal Gedanken dazu gemacht, wie die Straße zu ihrem Namen gekommen ist oder ob sie in früherer Zeit einen anderen Namen getragen hat.  

Um den Teilnehmenden ein gleiches Wissensniveau zu ermöglichen, schloss sich dem Kennenlernen ein aufschlussreicher Fachvortrag von Dr. Matthias Frese (LWL-Institut für Regionalgeschichte) an, in dem Dr. Frese typische Konjunkturen von Straßenbenennungen aufzeigte und zahlreiche Perspektiven eines Für und Wider von Umbenennungen beleuchtete. Dass eine Auseinandersetzung mit Straßennamen ein deutschlandweites Phänomen darstellt, verdeutlichte er anhand einer Handreichung des Deutschen Städtetages aus dem Jahr 2021, die Kommunen eine Hilfestellung geben soll, um vorhandene Regelwerke zu überprüfen oder erstmals zu schaffen.

Bei der Frage, wie ein geeignetes Regelwerk ausgestaltet sein könnte, lenkte Dr. Frese den Fokus auch auf typische Graubereiche, beispielsweise wenn für belastete Namensgeber einer Straße eine unbelastete Persönlichkeit in der Geschichte zu finden ist und statt einer Umbenennung schlicht die zu ehrende Person geändert wird. Gestützt mit Archivalien aus der Stadt Warendorf verdeutlichte er zudem, dass die Umbenennung von Straßen Städte und Gemeinden in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt hat. So bestand u.a. im Rahmen der Kommunalen Neugliederung im Jahr 1975 die Notwendigkeit, bei doppelten Straßennamen mindestens eine der betroffenen Straßen umzubenennen. Dadurch hat beispielsweise die Droste-Hülshoff-Straße in Freckenhorst ihren Namen behalten, während sie in Warendorf in Justus-Möser-Straße umbenannt wurde.

Zum Abschluss des Tages erwartete die Teilnehmenden eine exklusive Stadtführung zum Thema Straßennamen in der Altstadt, die durch den Stadtführer Werner Stock eigens für den Bürgerrat ausgearbeitet wurde. Ein kurzer Impulsvortrag zeigte in humorvoller Atmosphäre, wie sich die Straßennamen in der Altstadt mit der Zeit verändert haben, welche Straßen ihren Namen seit Jahrhunderten beibehalten haben und welchen Ursprung der ein oder andere Straßenname vermuten lässt. Bei einem abendlichen Stadtspaziergang wurden den Mitgliedern des Bürgerrates dann manch Kuriositäten und spannende historische Bezüge der geschichtsträchtigen Straßenzüge nähergebracht.

Der Samstag startete mit einer Expertenbefragung, um die ersten Eindrücke vom Vorabend weiter vertiefen und offene Fragen klären zu können.

Die Leiterin der VHS Warendorf, Mareike Beer, stand am Morgen für Fragen zur Politischen Bildung bereit. Dabei setzte sie einen wichtigen Schwerpunkt bei der Barrierefreiheit und sensibilisierte die Teilnehmenden, dass bei der (Um)Benennung von Straßennamen die Verständlichkeit, also auch die Schreib- und Lesbarkeit der Straßennamen, für alle Bevölkerungsgruppen mitgedacht werden sollte.    

Als Vorstandsmitglied des Heimatvereins Freckenhorst brachte Margit Schulze Stentrup ihre Expertise zum Themenkomplex Heimat und Tradition ein und diskutierte mit den Teilnehmenden verschiedene Aspekte personenbezogener Straßennamen und mögliche Gründe, die für oder gegen eine Umbenennung sprechen.

André Depenwisch als Leiter des Teams Bürgerbüro und Standesamt bei der Stadtverwaltung Warendorf stand den Teilnehmenden des Bürgerrates für alle verwaltungsbezogenen Fragen zur Verfügung, beispielsweise zu den individuellen Kosten, die auf Anwohnerinnen und Anwohner zukommen, wenn sich der Straßenname ändert. Ähnlich wie bei einem Umzug sind beispielsweise für den Personalausweis oder auch die Kfz-Zulassung Teil II im Falle eines neuen Straßennamens Adressänderungen in den Dokumenten erforderlich.

Die Erkenntnisse aus der Expertenbefragung wurden im Anschluss im Plenum weiter intensiv diskutiert, wobei sich bereits zeigte, welche Positionen besonders anschlussfähig sind und in die Ausarbeitung geeigneter Empfehlungen für die (Um)benennung von Straßen Eingang finden könnten.

Der zweite Teil des Samstages widmete sich dann ganz den Empfehlungen zur Um- und Benennung von Straßen. In drei Arbeitsgruppen wurden die zuvor gesammelten Aspekte weiter ausgearbeitet. In allen Gruppen wurde zwei Stunden lang zu den drei Oberthemen „Ethik, Moral, Personen“, „Aufwand, Beteiligung“ sowie „Weitere Kriterien“ in professioneller und wertschätzender Atmosphäre intensiv diskutiert, bevor die Ergebnisse im Plenum final abgestimmt wurden. Zur Unterstützung war Dr. Frese ein weiteres Mal zu Gast im Bürgerrat und lobte die Teilnehmenden für den fairen und reflektierten Meinungsaustausch zu diesem kontroversen Thema.

Während der gesamten Arbeitsphase des Bürgerrates zeigte sich das ausgeprägte Interesse der Teilnehmenden, bis zum Ende des Tages Ergebnisse auszuarbeiten. Mit Erfolg – zum Abschluss nahm Bürgermeister Horstmann bereits sehr konkrete Ergebnisse entgegen und nutzte die Gelegenheit für ein herzliches Dankeschön an die Mitglieder des Bürgerrates. Er zeigte sich beeindruckt, von der positiven Stimmung unter den Teilnehmenden und lud alle Beteiligten ein, den weiteren politischen Prozess weiter zu verfolgen.

Die Arbeitsergebnisse des anderthalbtägigen Bürgerrates werden nun weiter aufbereitet und von einer Redaktionsgruppe aus Bürgerratsmitgliedern, Verwaltung und Moderation in einem Positionspapier zusammengefasst. Die Empfehlungen sollen am 20. November 2024 dem Rat der Stadt Warendorf übergeben, jedoch noch nicht weiter beraten werden. Mitgliedern des Bürgerrates soll dort Gelegenheit gegeben werden, den politischen Vertreterinnen und Vertretern von den inhaltlichen Ergebnissen des Bürgerrates und den persönlichen Erfahrungen zu berichten. Die politische Beratung der Empfehlungen startet mit den Bezirksausschüssen Freckenhorst-Hoetmar am 26. November, bzw. Einen-Müssingen/Milte am 27. November und wird am 3. Dezember im Kultur- und Schulausschuss fortgesetzt. Eine Beschlussfassung wird in der Sitzung des Rates am 19. Dezember 2024 angestrebt.


Hintergrund

Der Rat hat die Verwaltung in seiner Sitzung am 4. Juli 2024 mit der Durchführung eines Bürgerrates beauftragt. Der Bürgerrat wurde für die Dauer von 1,5 Tagen einberufen und hatte den Auftrag, eine Empfehlung für Vorgaben und Kriterien für Straßen(um)benennungen in der Stadt Warendorf zu erarbeiten.

Bei der Konzeption und Durchführung des Bürgerrates wurde das Büro des Bürgermeisters durch Dipl.-Ing. Martin Enderle (Enderle Beratung) unterstützt. Martin Enderle ist als freier Berater und Moderator auch für die renommierte Kommunikationsberatung IKU_Dialoggestalter tätig. Durch seine langjährige Kommunalerfahrung, u.a. als Beigeordneter der Stadt Bielefeld und seine Mitwirkung an zahlreichen Beteiligungsformaten, wie z. B. dem Bürgerdialog der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien brachte er als unabhängiger Moderator wichtige Verfahrensexpertise in den ersten Warendorfer Bürgerrat ein.   

Gemäß der am 21.03.2024 vom Rat der Stadt Warendorf mehrheitlich beschlossenen Richtlinie zur Erweiterten Bürgerbeteiligung in der Stadt Warendorf soll das Verfahren Bürgerrat nach der Durchführung von zwei Bürgerraten evaluiert werden. Die Evaluationsergebnisse sollen eine Entscheidung ermöglichen, inwiefern Bürgerräte als Instrument der informellen Bürgerbeteiligung zur Bearbeitung übergeordneter Fragestellungen in Warendorf geeignet sind.

Weitere Informationen zum Bürgerrat sind auch auf der Homepage der Stadt Warendorf zu finden: www.warendorf.de/buergerbeteiligung